DIAGNOSIS - The World As It Might Has Been
A Collection Of Slides

Der Durchbruch in den grauen Raum

„Seit der Mensch begonnen hat, zu atmen und sich zu ernähren, über die Entdeckung des Feuers bis hin
zu den atomaren und thermonuklearen Maschinen, hat er nichts anderes getan, als fröhlich Milliarden von Strukturen aufzulösen,
um sie auf einen Zustand zu reduzieren, in dem sie zur Integration nicht mehr geeignet sind.“
Claude Levi-Strauss

„…word falls…photo falls… break through in grey room…“
William S. Burroughs


Mash up info / music copyrights: Siouxsie & The Banshees "Congo Conga" vs. John Adams "Doctor Atomic_Batter My Heart"

„International garbage man - I`ve decided that’s what I am."
Iggy Pop

Im Sperrmüll, auf Flohmärkten, via Ebay, sogar im Gebüsch von Parkanlagen entsorgt unsere Gesellschaft mittlerweile tonnenweise Dias aus vergangenen Tagen. Das Dia ist ein überkommenes Medium, reif für die Entsorgung. Zufällig angespültes Medientreibgut. Dias sind Paradebeispiele für allmählichen, schleichenden Zerfall und die Deformation von ursprünglicher Bedeutung. Quasi der Super-GAU für jedes Medium, nämlich die Umkehrung seiner eigentlichen, einzigen Daseinsberechtigung - der Information.



Mash up info / music copyrights: Asian Dub Foundation “Naxalite” vs. Ali Farka Toure “Jangali Famata” vs. David Sylvian_Hector Zazou “To a Reason”



Zumal wenn es in einen veränderten Kontext gerät. Ich betreibe dabei eine Art Archäologie oder wenn man so will, eine Nostalgie der Medien. Wir sehen, wie der Mensch auf seinem technologischen und neuronalen Parforceritt ein Medium, das mal als hip und faszinierend galt, schon nach wenigen Jahrzehnten wieder unbekümmert über Bord wirft…
Thematisch lassen sich regelrecht Motiv-Muster erkennen, geradezu soziologische Studien betreiben: Das Grillfest am Wochenende, die erste Freundin auf dem Motorrad, der Ausflug in die Berge, die große Reise nach Übersee, die jährlichen Familienfeiern, die Portraits der Neugeborenen. Der Mensch in Freiheit.
Entspannt. Fast nie bei der Arbeit.



Die eindrucksvollsten Fundstücke zeigen allerdings etwas, das dem Fotografen damals wohl so nicht bewusst bzw. beabsichtigt war. Es zeigt sich erst nach Jahrzehnten eine verborgene Melancholie. Oder hat sich das Bild, wie bei Dorian Gray, etwa von selbst verändert? Manchmal werden solche verborgenen Stimmungen erst offenbar durch die Einordnung in eine Motiv-Serie. Dabei scheint dann die Grundstimmung der Motiv-Serie die Wirkung des einzelnen Dias förmlich zu infizieren.


Mash up info / music copyrights: The Residents “Never Known Questions” vs. Paul Bowles “You are not I” vs. Holger Hiller “Budapest – Bukarest”


Am Dia selbst arbeiten ebenfalls chaotische Zersetzungsprozesse: Bei der jahrzehntelangen Zwischenlagerung in Kellern und Dachböden nagt die Auflösung. Die entstehenden Schadensmuster entfalten bei der großformatigen Projektion eine besonders malerische Wirkung. Geplatzte bürgerliche Träume. Die Dias wirken plötzlich wie alte Ölgemälde, deren Firnis blättert. Die Art und Weise der Zersetzung scheint manchmal nach Prinzipien chaotischer Musterbildung abzulaufen. Zersetzung und Auflösung – geradeso wie unsere Erinnerungen…



Es gibt auch einen performativen Aspekt der Diashows: die Einordnung in Motiv-Serien und vor allem die Untermalung der Diashow mit Klängen, die von den Amateurfotografen so sicher nicht gedacht waren, erlaubt dem Betrachter eine völlig neue Wahrnehmung der Dias…Und wie eine Motte in der Kerzenflamme stirbt das altersschwache Dia bei jeder Darbietung auch ein bisschen weiter vor sich hin. Die Hitze im Projektor kocht die Feuchtigkeit aus seinem Herzen. Die Ironie der Entropie kann man sagen: was vor wenigen Jahren für die Ewigkeit festgehalten wurde, zerfällt schon nach 20-30 Jahren.
Unser Wunsch, es zu betrachten, wird es jedes Mal ein bisschen mehr zerstören.



Auch der Betrachter selbst befindet sich bei der Vorführung in einem angespannten Zustand: in einer Mischung aus Filmvorführung und Museumsbesuch. Denn er kann zwar länger auf dem Bild verweilen als bei einem Kinofilm oder beim Fernsehen. Er unterwirft sich aber dennoch dem Diktat des willkürlichen, anonymen „Projektors“. Gerade, wenn der Betrachter sich auf ein Bild einschwingt, ihn persönliche Erinnerungen einholen oder er beginnt, Details zu studieren, schaltet der Projektor anscheinend willkürlich weiter - die Reise geht weiter, so wie das Leben selbst. Sollte der Besucher in einigen Jahren die Gelegenheit haben, das Dia noch einmal zu sehen, werden sowohl er als auch das Dia schon nicht mehr dieselben sein…



Chronik:

1995 Einzelausstellung, Heart Gallery, Mannheim.
2004 Einzelausstellung in der Galerie Rebekka Kraft, München.
2007 Sammlerbox bei Edition Carmakarma, München.
2009 Projektion an der Fh Medienpädagogik, München.
2013 Eröffnung Atelier Rebekka Kraft, München


Last update: November 7th 2013

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